Ist das Change Management am Ende? Braucht der Change-Ansatz Change?
Sucht man bei Google zu „Change des Change Managements“ oder „Ende des Change Managements“, so wird man kaum fündig!
Unternehmensberater, Hochschulen, Akademien, Buchanbieter, sie alle feiern noch den inzwischen klassisch gewordene Ansatz des Change-Managements. Nichts ist falsch daran, Mitarbeiter und andere Stakeholder in die geplanten Veränderung einzubinden, um spätere, zeit- und kostenraubende, Widerstände zu sparen oder wenigstens zu minimieren.
Der Vorläufer des Change-Management, der Top-Down-Ansatz, dürfte wohl out sein. Aber ist das der Weisheit letzter Schluss? Wie steht es um die Zukunftsfähigkeit des herkömmlichen Change Managements?
Dynamisches Umfeld erschwert strategische Planung
Der heutige Change-Ansatz geht von einem Zukunftsplan aus, der dann unter Einbindung der Mitarbeiter in die Tat umgesetzt werden soll. Ohne Plan oder mindestens eine Richtung fehlt die Substanz, an der die gemeinsame Auseinandersetzung über die Gestaltung des „besten“ Weges sich reiben kann, ja reiben muss, um die davon Betroffenen an der Umsetzung zu beteiligen – eben Change Management: Betroffene zu Beteiligten machen.
Aber was ist, wenn die Planbarkeit fehlt oder umfeldbedingte Überraschungen schnelle Reaktionen erzwingen, die eine umfassende und damit zeitraubende Beteiligung der Mitarbeiter unmöglich machen?
Viele Change Projekte scheitern schon heute vor allem da, wo der beabsichtigte Change sich der Planbarkeit oder Vorhersehbarkeit entzieht. Und das wird tendenziell nicht weniger!
Begriffe wie „VUCA“ haben heute Hochkonjunktur. Man mag von Schlagwörtern halten, was man will. Die hinter diesem Akronym stehende Zustandsbeschreibung unserer heutigen Realität ist jedoch zutreffend: Volatilität (des Umfelds), Unsicherheit (in Bezug auf Zukunft), Complexität (in Bezug auf Wirkungszusammenhänge) und Ambiguität (Mehrdeutigkeit) sind relevante Herausforderungen für die meisten Unternehmen.
Die Folge: wohldurchdachte Strategieansätze, wie sie z.B. vom renommierten Harvard-Professor Michael Porter über Jahrzehnte gelehrt wurden, verlieren von einem Tag auf den Anderen ihre Gültigkeit durch „VUCA-Überraschungen“.
Neue Change-Management-Ansätze zur Zukunfts-Sicherung
Das verlagert drastisch die Schwerpunkte von Change-Management-Ansätzen. Es geht kaum noch um „Abholen“ oder „Beteiligen“ zur Widerstandsminimierung oder Akzeptanzoptimierung, sondern schlicht um neue Ansätze zur Zukunfts-Sicherung und das bedeutet schnelleres Erkennen neuer Trends, schnelleres Reagieren auf Ereignisse und bessere Anpassung an neue Realitäten, gemeinhin auch als Agilität bezeichnet.
Wir finden solche Ansätze zum Beispiel heute schon in dem aus meiner Sicht bahnbrechenden Ansatz von MIT-Professor Otto Scharmer mit seiner Theorie U („Leading from the future“), die auf eine Stärkung intuitiver Fähigkeiten der Organisation und ihrer Mitarbeiter zum besseren Erahnen von Zukunft zielt, statt diese „nur“ zu planen.
Die Ratio wird erweitert um Intuition. Bahnbrechend daran ist nicht nur der Ansatz selber, sondern seine Herkunft: das MIT (Massachusetts Institut of Technology), dem richtungsweisenden „Think Tank“ für Betriebswirtschaft und Unternehmensführung. Wer hätte das gedacht: vom Excel zu Intuition, von Planungssicherheit zu Ahnung!
Eine „Ahnung“ der Zukunft als Basis
Aus der Praxis: In einem meiner letzten Coachings war ein Ziel, den neu installierten Geschäftsführer dabei zu unterstützen, die Zukunft seiner Firma zu „gestalten“. Statt uns über (rationalen) Baupläne zur Zukunft herzumachen, begannen wir zunächst damit, die künftige „Gestalt“ intuitiv zu erahnen.
Dazu stellte ich ihm eine Reihe von Fragen, die ihn einluden, sich bereits in dieser Zukunft zu erleben und die er sich jeweils in einem entspannten Zustand anhörte, um dann die spontan dazu aufkommenden Bilder zu jeder Frage zu notieren. Die so entstandene „Ahnung“ der Zukunft kann jetzt in Baupläne umgesetzt werden.
Change Management heißt auch das dauerhafte Einstellen auf Veränderung
Als Coach hat mich die Arbeit von Otto Scharmer sehr dazu ermutigt, diesen sicher noch immer ungewöhnlichen Weg einzuschlagen.
Die Zukunft gehört der Fähigkeit eines Unternehmens und der darin wirkenden Menschen, sich dauerhaft auf Veränderung einzustellen, also Changeabilitiy statt Change Management. Dazu braucht es durchlässigere Formen der Zusammenarbeit aller Funktionen des Unternehmens (strukturelle Ebene) und – ebenso wichtig – ein Mindset aller Mitarbeiter und Führungskräfte, der von Agilität, Vernetzung, Eigenverantwortung und Kreativität getragen wird (kulturelle Ebene).
Und was bedeutet das auf der persönlichen, individuellen Ebene?
In einem Satz zusammengefasst: Es geht darum, zu lernen, persönlichen Ängsten vor Veränderung souveräner zu begegnen, sich somit Veränderungen leichter stellen zu können, um auch in herausfordernden Situationen souverän zu bleiben.
Zugegeben ein hoher Anspruch, jedoch erreichbar, wenn wir uns verstärkt unserer emotionalen Selbststeuerung zuwenden, achtsam werden im Beobachten der eigenen Gefühle und somit auftretende Veränderungs-, bzw. Anpassungs-Ängste rechtzeitig erkennen und zunehmend souveräner werden im Managen schwieriger Situationen. Wer das lernt, hat den Kopf frei, wenn es darauf ankommt!
Fazit
Change ist Normalität geworden, damit wächst der Anpassungsdruck der Unternehmen. Change Management als Instrumentarium wird ergänzt und vielleicht sogar einmal ersetzt durch eine umfassende Change-Kompetenz der Organisation und ihrer Mitarbeiter: Agilität vor Stabilität!
Change Kompetenz mit ihren drei Stoßrichtungen Struktur, Kultur und Individuum ist erlern- und gestaltbar, erfordert aber vollkommen neue Sichtweisen, die Ahnung, Intuition und emotionale Intelligenz als zusätzliche Gestaltungs-„Werkzeuge“ zulassen.
Der Change im Change-Ansatz liegt genau darin.