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Wie kann Theorie und Forschung zur Organisation für all jene nützlich werden, die Unternehmen als Organisation verbessern wollen? In diesem Blog schlage ich die Brücke und schaue, wie Organisationstheorien dabei helfen, die von uns häufig in Change-Projekten begleitete Praxis von Organisationen besser zu verstehen und sinnvoll zu entwickeln. Alle Einzel-Beiträge sind zunächst auf meinem LinkedIn-Account veröffentlicht worden. Wir haben sie hier chronologisch geordnet wiedergegeben, mit dem aktuellsten Beitrag ganz oben. Viel Spaß beim Stöbern!

 Niklas Villwock

Niklas Villwock

Senior Consultant

n.villwock@change-partner.com

+49 211 205425 0

Projekte

Organisationstheorie-Klassiker für die Praxis (8): Cyert & March und die lokalen Rationalitäten


Die Verhaltenswissenschaftler Richard Cyert und James March habe ich im Rahmen meiner Serie zu Organisationstheorie-Klassikern schon einmal erwähnt, als ich das Garbage Can Model vorgestellt habe. In diesem Beitrag tauchen sie erneut auf, da sich die Arbeit dieser brillanten Organisationsdenker nicht auf ein einziges Modell beschränken lässt.

Ein weiteres Konzept, mit dem sie einen wegweisenden Beitrag zum Verständnis von Organisationen geleistet haben, sind die sogenannten „lokalen Rationalitäten“. Zusammengefasst lautet die Aussage dahinter: An welcher Stelle in der Organisation ich mich befinde, beeinflusst meine Denkweise. Unterschiedliche Organisationseinheiten haben abweichende Maßstäbe dafür, was sie als rational bewerten. Das liegt unter anderem daran, dass Informationsflüsse in Organisationen durch ihre Strukturen bestimmt werden und somit Personen an unterschiedlichen Stellen unterschiedliches Wissen haben.

Das Konzept der lokalen Rationalitäten unterscheidet sich von machtorientierten Modellen insofern, dass den Akteuren in der Regel nicht bewusst ist, dass ihre Denkweise durch ihre Position in der Organisation geprägt ist. Das ist intuitiv nachvollziehbar: Mir selbst kommt meine eigene Denkweise meist als Richtschnur der Rationalität vor; dass nicht nur andere, sondern auch ich selbst Verzerrungen unterliege, bleibt latent. Lokale Rationalitäten sind daher nicht deckungsgleich mit Mikropolitik, da die Organisationsmitglieder abseits von Eigeninteressen tatsächlich davon überzeugt sind, im besten Sinne der Organisation zu agieren.

Für die Praxis ist das Konzept hoch relevant: In nahezu jedem meiner Projekte sind mir Konfliktsituationen begegnet, in denen Vertreter:innen verschiedener Organisationseinheiten in jeweils bester Absicht sich entgegenstehende Positionen vertreten haben. Diese Situation gehört zu den Fällen, in denen das Einbringen eines theoretischen Modells bereits einen hilfreichen intervenierenden Effekt haben kann, da die Erkenntnis, dass beide Seiten unterschiedliche Ziele der Organisation vertreten, dabei hilft, Diskussionen von der Personen- auf die Sachebene zu verlagern.

  

 

Organisationstheorie-Klassiker für die Praxis (7): Henry Mintzberg und die emergente Strategie 

Die Literatur zu Strategiearbeit wurde über Jahrzehnte von rationalen Top-Down-Ansätzen dominiert: Als Strategie galt das, was an der Organisationsspitze bzw. in Zentralbereichen mithilfe ausgefeilter Analysen explizit beschrieben und dann in die verschiedenen Teile der Organisation kaskadiert wurde. Prototypisch hierfür steht die sogenannte „Planning School“.

Der brillante Management-Forscher Henry Mintzberg kritisiert seit je her diese allzu idealisierende Vorstellung von strategischer Planung, die wenig mit der meist vorzufindenden Praxis zu tun hat. Seiner Forschung zufolge entstehen die Strategien von Organisationen häufig nicht vorgelagert zu den operativen Aktivitäten, sondern im Gegenteil gerade durch diese. Relevanter als die in Dokumenten beschriebene „deliberate strategy“ sind die vielen einzelnen Erkenntnisse des operativen Betriebs, aus denen sich in Summe bestimmte Muster herauskristallisieren.

Trotz vieler Artikel zur VUCA-Welt wird in Organisationen nach wie vor meist versucht, die Zukunft linear vorauszusehen und zu planen – mit mäßigem Erfolg. Daher sind emergente Strategien ohnehin in jeder Organisation gelebte Praxis. Das Problem ist, dass die operativen Einheiten dabei häufig gegen eine zentral vorgegebene Strategie arbeiten müssen, die ihren Bedarfen nicht entspricht. Durch die Inszenierung von Strategiekonformität entstehen unnötige Kosten – bspw. weil Reports zur Erfüllung der offiziellen Strategie erstellt werden müssen. Sinnvoller für Organisationen ist es, die zentralen Strategien – die als Orientierungsanker und Ausrichtungsimpulse dennoch wichtig sind – so zu gestalten, dass für die operativen Bereiche Luft zum Atmen, das heißt zur individuellen Ausgestaltung, besteht.

Organisationstheorie-Klassiker für die Praxis (6): DiMaggio & Powell und die Gleichförmigkeit von Organisationen


In der letzten Ausgabe meiner Serie zu Organisationstheorie-Klassikern habe ich mich mit der Theorie der rationalisierten Mythen von Meyer & Rowan beschäftigt. Die zweite wegweisende Theorie innerhalb der Schule des Neoinstitutionalismus ist die des institutionellen Isomorphismus von Paul DiMaggio und Walter Powell, die an Meyer & Rowan anschließt.

Was sperrig klingt, lässt sich grob umschreiben mit: Organisationen eines „Felds“ (also bspw. einer Branche) gleichen sich über die Zeit einander an. Paradoxerweise führen Versuche, Organisationen zu verändern, dazu, dass sie sich immer ähnlicher werden. Wenn man sich Organisationen eines Felds anschaut, findet man in der Regel ähnliche Strukturen, Prozesse und Kulturen. Auch wenn die Standards eigentlich nicht zur Situation und den Problemen der jeweiligen Organisation passen, werden sie übernommen.

Warum ist das so? DiMaggio und Powell identifizieren drei Formen des Isomorphismus:

▶️ „Coercive“: Die Umwelt der Organisation übt sowohl formalen (Gesetze, Regularien etc.) als auch informalen (gesellschaftliche Erwartungen) Druck aus.
▶️ „Mimetic“: In unsicheren Situationen neigen Organisationen dazu, etablierte Lösungen, die sie bei vergleichbaren Organisationen beobachten, zu übernehmen. Dabei geht es eher darum, mit den „Best Cases“ mitzuhalten, als um die tatsächliche Passung zu individuellen Problemen.
▶️ „Normative“: Diese Art des Isomorphismus bezieht sich auf Normen, die sich nicht auf die Organisation an sich, sondern auf Professionen beziehen. Durch die Sozialisation mit bestimmten berufstypischen Standards – häufig vermittelt über Kaderschmieden wie Business Schools – werden mittelbar auch Organisationen einander angeglichen.

Diese Gedanken sind direkt anschlussfähig an das Praxiserleben in Organisationen: Immer wieder gibt es Themen, die vor allem deshalb ins Leben gerufen werden, weil sie nun einmal dazugehören. Ein Beispiel aus meiner Beobachtung sind hier etwa OKRs – ich habe schon häufig erlebt, dass Organisationen überzeugt sind, einen OKR-Prozess zu brauchen, ohne sich mit anderen Zielsystemen (oder den dahinter liegenden Bedürfnissen) beschäftigt zu haben. Es ist daher bei allen Neuerungen empfehlenswert, genau das Problem herauszuarbeiten, das damit gelöst werden soll.

Organisationstheorie-Klassiker für die Praxis (5): Meyer & Rowan und die Institutionalisierung von Mythen


Organisationen richten ihr Handeln nicht nur an Effizienz- und Effektivitätserwägungen, sondern auch an gesellschaftlichen Erwartungen aus. Genau darauf haben John W. Meyer und Brian Rowan mit ihrem wegweisenden Konzept der „rationalisierten Mythen“ aufmerksam gemacht. Bei diesen Mythen handelt es sich um gesellschaftlich etablierte Überzeugungen darüber, wie Organisationen „richtig“ funktionieren sollten. Dabei geht es nicht zwingend darum, was aus funktionaler Sicht sinnvoll ist, sondern darum, was sich gesellschaftlich als Erwartung herausgebildet hat. Diese Erwartungen können beispielsweise im Vorhandensein klar definierter Soll-Prozesse oder im Durchführen einer Mehrjahresplanung bestehen.

Organisationen übernehmen diese gesellschaftlichen Erwartungen in ihre Formalstruktur, um ihrer Umwelt zu signalisieren, dass sie zeitgemäß, vertrauenswürdig und ernstzunehmend sind. Das Problem, dass einige dieser Erwartungen nicht zu den Effizienzzielen von Organisationen passen, lösen sie durch Entkopplung – die Formalstruktur dient vor allem der Legitimierung nach außen, während die tatsächlichen Aktivitäten durch die praktischen Anforderungen bestimmt werden. Zu den Mechanismen der Entkopplung gehören etwa das bewusst weiche Formulieren von Zielen oder die „Zeremonalisierung“ von Kontrollen und Evaluationen.

Für die Praxis ist die Theorie von Meyer und Rowan deshalb von Bedeutung, weil vieles von dem, was häufig als „Bullshit Work“ beschrieben wird – also sich sinnlos anfühlende, weil offensichtlich keinen Nutzen stiftende Arbeit –, darauf zurückgeht, dass Tätigkeiten ohne funktionalen Mehrwert zum Zwecke der Legitimation durchgeführt werden. Man denke hier an Risiko-Reportings, die nur selten tatsächlich gelesen werden, deren Vorhandensein aber den Stakeholdern ein gutes Gefühl gibt – bzw. deren Fehlen die Organisation in Erklärungsnot bringt, wenn mal etwas passiert. Es gilt, immer wieder zu hinterfragen, welche historisch gewachsenen Praktiken möglicherweise nicht mehr benötigt werden. Gleichzeitig zeigt die Arbeit von Meyer und Rowan auch, dass etwa bei Effizienzprogrammen nicht allein nach dem wirtschaftlichen Effekt von Tätigkeiten, sondern auch nach ihrem symbolischen Nutzen gefragt werden sollte. Denn: Auch wenn eine Organisation ökonomisch gut aufgestellt ist, wird sie ohne Legitimität in ihrer Umwelt nicht dauerhaft überleben können.

Organisationstheorie-Klassiker für die Praxis (4): Crozier & Friedberg und die vier Säulen der Macht


Ein wesentlicher Aspekt zum Verständnis von Organisationen ist das Thema Macht. Hier waren es die Soziologen Michel Crozier und Erhard Friedberg, die den vielleicht wichtigsten Beitrag geleistet haben, um informale Machtdynamiken zu verstehen. Ihnen ist die Erkenntnis zu verdanken, dass die Machtverteilung in der Organisation nicht mit der formalen Hierarchie deckungsgleich ist, sondern dass es auch informale Machtquellen gibt. Dadurch sind manche Personen, die qua Position keinen bedeutenden Einfluss haben, unter Umständen sogar mächtiger als ihnen hierarchisch übergeordnete Akteure.

Die vier Quellen von Macht nach Crozier und Friedberg sind:
▶️ Spezifisches Fachwissen: Wir kennen es alle – die Person, die als einzige weiß, wie das IT-System im Detail aufgebaut ist, ist unverzichtbar und kann dies nutzen.
▶️ Kontrolle der Beziehungen zur Umwelt: Auch wer Schnittstelle zu wichtigen Umwelten ist, bspw. Vertraute:r eines Großkunden, hat einen gewichtigen Einfluss.
▶️ Kontrolle von Informations- und Kommunikationskanälen: Wer an einem Schreibtisch sitzt, über den wichtige Informationen laufen müssen, ist für andere Gatekeeper und gewinnt darüber an Einfluss.
▶️ Kenntnis der organisatorischen Regeln: Auch wer als einzige:r weiß, wie man die formalen Regeln geschickt nutzt, kann dadurch Einfluss gewinnen.

Was bedeutet das für Organisation? Vor allem zeigt die Arbeit von Crozier und Friedberg, dass es nicht ausreicht, die formalen Entscheider:innen zu überzeugen, wenn man etwas in der Organisation bewegen will. Wer beispielsweise ein Change-Vorhaben verantwortet, sollte zu Beginn genau analysieren, wer die tatsächlichen Machtträger:innen sind, und diese zu gewinnen (wobei formale Entscheidungen dadurch nicht verzichtbar werden).

Organisationstheorie-Klassiker für die Praxis (3): Cyert, March & Olsen und die organisierte Anarchie


Im dritten Teil der Serie zu Organisationstheorie-Klassikern für die Praxis möchte ich eines meiner Lieblingsmodelle zu Entscheidungen in Organisationen vorstellen: Das Garbage Can Model von Cyert, March & Olsen.

Wenn wir an Entscheidungen in Organisationen denken, haben wir klassischerweise die Vorstellung, dass dabei über Lösungen für Probleme entschieden wird, wobei die Probleme die unabhängige Variante sind – zuerst gibt es das Problem, dann wird die Lösung gefunden. Das Garbage Can Model hinterfragt diese lineare Logik: Ihm zufolge folgen Lösungen nicht auf Probleme, sondern diese sind zunächst unabhängig voneinander. Ebenso wie Probleme sich ihre Lösungen suchen, suchen sich die vorhandenen Lösungen passende Probleme. Welche Lösungen mit welchen Problemen zusammenkommen, ist zu einem wesentlichen Teil situativ und zufallsabhängig.

Diese Sichtweise erscheint zunächst kontraintuitiv, da sie das übliche Verständnis davon, wie Organisationen gesteuert werden, umkehrt. Denkt man jedoch darüber nach, dürfte fast jedem eine Situation einfallen, in der jemand eine Idee, die sie oder er schon länger in der Schublade hatte und schon des Öfteren eingebracht hat, endlich durchsetzen konnte, als sich die passende Gelegenheit bot. Tatsächlich kommt ein großer Teil der Veränderungen in Organisationen nicht durch rationale Planung zustande, sondern dass sich für bestimmte Interessen günstige Gelegenheiten bieten.

Als deskriptives Modell hat das Garbage Can Model keine direkte Handlungsimplikation. Es lohnt sich für Praktiker dennoch, sich mit ihm zu beschäftigen, da durch das bessere Verständnis der Dynamik von Organisationen ein verständigeres Agieren ermöglicht wird. So können etwa Strategieprozesse von vornherein in dem Bewusstsein angelegt werden, dass eine vollständig rationale Planung nicht möglich ist, und somit Raum für situative Entscheidungen lassen.

Organisationstheorie-Klassiker für die Praxis (2): Karl Weick und die Illusion der Objektivität


Der zweite Autor, den ich in meiner Serie zu Organisationstheorie-Klassikern vorstellen möchte, ist Karl Weick. Von ihm stammt das Konzept des „sensemaking“, das beschreibt, wie Menschen das Geschehen in Organisationen wahrnehmen.

Wenn wir beobachten, was in Organisationen passiert, haben wir normalerweise das Gefühl, dass unser Empfinden einer objektiven Realität entspricht – wir können vielleicht nicht alles nachvollziehen und nicht alles überblicken, aber das, was wir sehen, hat eine klare Bedeutung: A hat dies getan, und deswegen hat B das getan, was wiederum C zu folgender Reaktion bewegt hat usw. Während wir eine kausale Abfolge von Ereignissen wahrnehmen, geht die Theorie des sensemakings davon aus, dass diese Klarheit eine retrospektive Konstruktion ist. Nach Weicks Auffassung wird ein endloser Strom von Ereignissen und Handlungen, der prinzipiell unverbunden ist, erst im Nachhinein zu einem sinnvollen Ablauf umgedeutet.

Weick unterscheidet sich von den Radikalen Konstruktivisten, da er nicht bestreitet, dass es eine „echte“, außerhalb der Wahrnehmung der Beobachter vorhandene Welt gibt. Er glaubt nur, dass diese echte Welt bei weitem nicht so geordnet und linear ist, wie sie uns erscheint. Das sensemaking, also die andauernde Konstruktion plausibler Geschichten, dient der Rationalisierung der chaotischen Welt. Es handelt sich dabei um einen Selektionsprozess: Aus der Menge an Geschehnissen werden bestimmte Ereignisse herausgegriffen, benannt und mit Bedeutung versehen. Dabei geht es weniger um Genauigkeit als vielmehr um Stimmigkeit.

Was können Organisationen aus Weicks Konzept des sensemaking ableiten? Die wichtigste Erkenntnis für die Praxis ist aus meiner Sicht, dass es sich lohnt, die Bedeutungslandkarten der unterschiedlichen Akteure abzugleichen, da es nicht selbstverständlich ist, dass Geschehnisse auf dieselbe Weise wahrgenommen werden und dass unter den gleichen Konzepten das gleiche verstanden wird. Ein Anwendungsfall sind beispielsweise Konfliktsituationen, bei denen ein Teil der Lösung mitunter schon darin liegt, die Bedeutungsgebungen der Parteien offenzulegen.

Organisationstheorie-Klassiker für die Praxis (1): Nils Brunsson und die organisierte Heuchelei


Theorie hat in Organisationen keinen guten Ruf. „Das ist doch bloß Theorie“ oder „Das ist zu akademisch“ durfte sich wahrscheinlich jeder Organisationsberater schon einmal anhören. Organisationen wollen eindeutige, greifbare und handlungsleitende Aussagen, daher wird der Begriff „Theorie“ selten mit einer positiven Konnotation genutzt. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass Organisationstheorie dabei hilft, das Geschehen in Organisationen zu verstehen und dadurch einen immensen Mehrwert bietet. Um eine Lanze für die Theorie zu brechen, werde ich in den kommenden Monaten in loser Folge einige Klassiker der Organisationswissenschaft vorstellen – immer verbunden mit dem Blick darauf, wie sich theoretische Betrachtungen in der Praxis widerspiegeln. Die Auswahl hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern basiert darauf, welche Autor:innen bzw. Werke ich persönlich dafür schätze, dass sie einen überraschenden Blick bieten und gängige Annahmen hinterfragen.

Den Anfang macht der von mir hoch verehrte Soziologe Nils Brunsson. Brunsson schafft es wie kein Zweiter, das Eigenleben von Organisationen zu beschreiben, das selten so geordnet und rational ist, wie es häufig dargestellt wird. Sein wohl wichtigstes Konzept ist die Unterscheidung zwischen „talk“ und „action“ – Brunsson zeigt, dass zwischen den offiziellen Aussagen der Organisationsführung und dem, was real in der Organisation geschieht, deutliche Diskrepanzen bestehen: Nicht alles, was gesagt werden kann, ist umsetzbar (oder soll umgesetzt werden), und nicht alles, was getan wird, kann bzw. darf gesagt werden. Die unterschiedlichen Stakeholder stellen widerstreitende Erwartungen an die Organisation – bspw. ethisches Handeln und wirtschaftliche Effizienz –, was die Organisation dadurch löst, dass sie das eine sagt und das andere tut. Brunsson spricht daher von der „organization of hypocrisy“ – wobei er den Begriff der Heuchelei nicht in einem moralischen Sinne verwendet, sondern im Gegenteil argumentiert, dass Organisationen ohne ein gewisses Maß an Heuchelei nicht funktionsfähig wären.

Die Theorie der Heuchelei mag zynisch erscheinen, ist jedoch höchst aufschlussreich und praktisch häufig erkennbar – etwa, wenn Organisationen sich Leitbilder für nachhaltiges Handeln geben, die in der Praxis unterlaufen werden. Als Organisationsmitglied ist es natürlich schwierig, mit dem beschreibenden soziologischen Blick auf die Organisation zu schauen, sodass die Kluft zwischen talk und action ein Hauptgrund für Frustration ist. Aus Brunssons Arbeit lässt sich jedoch ableiten, dass Organisationen nicht gut beraten wären, die Umsetzung von Entscheidungen durch kleinteilige Kontrolle zu erzwingen, oder gegenüber ihren Stakeholdern maximale Transparenz über ihre Aktivitäten anzustreben.